Projektträger
Soroptimist Verein Lauterbach-Vogelsberg e.V. (im Folgenden: SI )
SI engagiert sich gesellschaftspolitisch als Service-Organisation im lokalen, nationalen und internationalen Umfeld für eine aktive Teilnahme an Entscheidungsprozessen auf allen Ebenen der
Gesellschaft. SI setzt sich ein für die Menschenrechte, für Gleichheit, Entwicklung und Frieden, die Verhinderung jeglicher Gewalt gegen Frauen und Mädchen und die aktive Mitwirkung von Frauen
bei der Lösung von Konflikten.
Projekt
Das SI-Projekt „Nie wieder Krieg 2019“ übernimmt die Botschaft des wollenen Friedenslöwen von 2018 und trägt sie in anderer Form weiter. Über die geplanten Aktionen werden die tragenden Impulse von 2018 neu erlebt: nämlich ein Signal für Frieden, Freiheit, Toleranz, Gleichberechtigung, Weltoffenheit und Mitmenschlichkeit zu setzen.
Projektidee
1. Ausgangspunkt
Das sogenannte »Löwendenkmal« steht im Zentrum der Stadt Lauterbach. An diesem zentralen Ort befindet sich nicht nur das Hohhaus-Palais, sondern stehen auch Ladengeschäfte, eine Apotheke und das
Tourist-Center der Stadt, die den Berliner Platz und damit auch das Löwendenkmal umgeben. Die einheimische Bevölkerung nutzt das, kurz als »Löwe« bezeichnete, Denkmal als Treff- und
Orientierungspunkt – jede/r weiß in diesem Fall, um welchen Ort es sich handelt. Der »Löwe« ist Teil der lokalen und nicht hinterfragten Alltagskultur.
Der historische Ursprung des Denkmals ist dabei in den Hintergrund bzw. in Vergessenheit geraten. Es ist ein Kriegsdenkmal, das an den Sieg Deutschlands über Frankreich im Krieg 1870/71 erinnern soll. Auch hessische Truppen waren an diesem Krieg beteiligt, worauf die Verwendung des hessischen Wappentiers anspielt.
2. Historischer Kontext – Exkurs
Anders als das Kriegsdenkmal, das 1872 auf dem Friedhof in Lauterbach zum Gedenken an die Gefallenen errichtet wurde, ist das Löwendenkmal ein »Siegesdenkmal« und soll an die Siege der deutschen (darunter auch hessischen) Truppen im Krieg gegen Frankreich 1870/71 erinnern.
Der Krieg gegen Frankreich unter Napoleon III. wurde vom Norddeutschen Bund unter Führung Preußens mit den Verbündeten Bayern, Baden, Württemberg und Hessen-Darmstadt geführt. Frankreich wurde besiegt, der Krieg endete offiziell im Mai 1871 mit dem »Frieden von Frankfurt«. Aus dem Norddeutschen Bund wurde das »Deutsche Reich« mit Bismarck als Reichskanzler und Wilhelm I. als Kaiser. Mit der Entstehung des Deutschen Reiches erhielten die sogenannten Kriegervereine enorm viel Zulauf. Anfang des 19. Jahrhunderts als »Krieger-Begräbnis-Vereine« gegründet, entwickelten
sie sich nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 rasant. 1900 gründete sich schließlich der »Deutsche Reichskriegerbund Kyffhäuser« mit kurz darauf drei Millionen Mitgliedern als Dachverband der Kriegervereine.
Zu den fast 350 vom Landesamt für Denkmalpflege Hessen gelisteten kulturhistorischen Denkmälern (darunter auch Häuser, Häuserensembles, Fassaden etc.) in Lauterbach (Stadt) zählt auch das Löwendenkmal. Es wurde ab 1898 vom Kriegerverein Lauterbach als »repräsentativeres Erinnerungsmal« geplant.
Der damalige Denkmalpfleger Heinrich Walbe hatte den Bildhauer Ludwig Habich mit dessen Gestaltung beauftragt. Als Standort wurde der Platz vor dem Hohhaus gewählt: »Ein kubischer Block auf gestuftem Sockel zeigt vertiefte (erneuerte) Inschriftflächen mit den Namen der Schlachtorte. Auf dem Block sitzt ein großer Löwe, der seinen Blick zur Türmergasse hin richtet. Walbe wünschte das Haus Obergasse 2 als Folie für das Denkmal, das daher weniger auf den Ehrenhof des Hohhauses ausgerichtet ist. Bemerkenswert bleibt die für die Entstehungszeit außergewöhnlich dezente Gestaltung und die bis dahin bei Gedenksteinen an den Kriege 1870/71 nur sehr vereinzelt verwendet Symbolik des Hessenlöwen.« (Zitat: DenkXweb des Denkmalverzeichnisses des Hess. Dekmalschutzgesetzes).
Bereits kurz nach dem Krieg 1870/71 wurde jährlich das sogenannte »Sedanfest« zur Erinnerung an die Schlacht bei Sedan gefeiert, bei dem Veteranen geehrt wurden. Zum 25jährigen Jahrestag am 2. September 1895 fand auch in Lauterbach ein Festzug statt. Nur drei Jahre später regt der Kriegerverein die Errichtung eines Denkmals an.
Das Löwendenkmal wurde, umrahmt von einem dreitägigen Fest, am 18. August 1907 eingeweiht, dem Jahrestag der Schlacht von Gravelotte, dem »Gedenktage an die Ruhmestaten unserer hessischen Division« (Zitat Einladung zur Einweihung durch den Denkmals-Ausschuss Lauterbach). Bei der Einweihung sprachen Schulrat Andres, Vorsitzender des Denkmalausschusses und Bürgermeister Alexander Stöpler. Es folgten »Volksbelustigung, Konzert und Tanz« an zwei Tagen.
3. Projektziele
a) Schaffung von Bewusstsein
Durch die Kunstperformance soll der historische Hintergrund und damit das Denkmal als Ausdruck eines damals herrschenden, stark heroisierenden Nationaldenkens wieder in das aktive Bewusstsein der Bevölkerung gebracht werden:
Warum wird der Löwe verhüllt? Was ist so besonderes an ihm?
b) Nachhaltige Reflektion
Damit soll sich gleichzeitig die Reflektion über Krieg im Allgemeinen und besonders Krieg unter deutscher Beteiligung und auch Verantwortung als ein vom Löwendenkmal untrennbarer Kontext in Gang setzen: Der deutsch-französische Krieg war – wie jede kriegerische Auseinandersetzung – ein Krieg mit fürchterlichen Verlusten auf beiden Seiten: über 200.000 Verwundete, über 180.000 Gefallene (Quelle: Wikipedia). Der Krieg und seine Folgen belasteten die Beziehungen beider Länder zueinander tiefgreifend. Letztlich u.a. auch ein Grundstein für den Weg in den Ersten Weltkrieg.
c) Wirkung im Jetzt, Hinblick auf die Zukunft
Während es zurzeit 32 anhaltende Kriege und kriegerische Konflikte gibt und 65 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht sind, genießt die Bevölkerung in Deutschland seit über 70 Jahren Frieden, auch mit Frankreich, was Lauterbach mit einer lebendigen Städte-Partnerschaft mit Lézignan-Corbières seit Jahrzehnten unterstreicht. Der Kontext, in dem das Denkmal errichtet wurde, erscheint heute – rückblickend, auch durch die Erfahrung zweier Weltkriege – anachronistisch, unverständlich und sogar erschreckend. Die Aktion von SI macht dies nachfühlbar.
Bei der Wirkung im Jetzt spielt auch der integrative Charakter der Kunstperformance eine wichtige Rolle: Zum Einen bedeutet das Thema »Krieg« und dessen traumatisierende Auswirkungen für Geflüchtete, die seit 2015 in Lauterbach eintreffen und leben, einen ganz realen Erfahrungshorizont. Die Aktion für den Frieden wird gerne mitgetragen werden und bringt neue und alteingesessene Mitbürgerinnen und -bürger in ein Miteinander für die gleiche Sache.
Zum Anderen kann der Vogelsberg zwar hervorragende Erfolge im Bereich Integration vorweisen, aber auch rassistische und nationalistische Tendenzen sind zu verzeichnen. Wieder werden Vorurteile und Ängste polemisiert, so dass die Verhüllungsaktion des Denkmals auch dahingehend aufklärend wirken kann.
Vor allem aber möchte die Kunstperformance von SI erreichen, dass mit dem Blick auf den historischen Kontext des Denkmals samt der dem folgenden Entwicklungen in der Geschichte eine gedankliche Brücke zum Jetzt gebaut werden kann, die eine mitmenschliche und friedliche Perspektive für die Zukunft beinhaltet.
Fazit
Das Projekt „Nie wieder Krieg!“ widmet den ursprünglichen Gedanken der Denkmalsetzung »Unüberwindlich wie des Löwen Kraft« (Seitliche Inschrift des Denkmals) um in ein von der ganzen Bevölkerung getragenes »Nie wieder Krieg!« – grundlegend, anschaulich und dauerhaft. Das Kriegsdenkmal wird durch die Aktion zum Symbol für Frieden, Mitmenschlichkeit, Gleichberechtigung, Weltoffenheit und Toleranz.